Montag, 30.5. :

Ein Teil der Krankenhausausstattung, oft fehlen dafür Ersatzlösungen oder entsprechendes Kleinmaterial Den Montag Vormittag verbringen wir im Krankenhaus. Wir sprechen zunächst mit der Ärztin Anna Tschobanian, die wir im Herbst für ein Praktikum am Krankenhaus in Meppen einladen. Zusammen mit ihr soll der Kinderchirurg Nikolai  Dallakian kommen, für den wir noch einen Praktikumplatz suchen. Der Termin steht deshalb noch nicht genau fest.Wir sehen noch einige Patienten, unter anderem einen vierzehnjährigen Jungen, der bei der Explosion eines Fernsehgerätes schwerste Verbrennungen erlitten hat. Im Gespräch mit Raffi gehen wir die einzelnen Medikamente durch, die das Krankenhaus im Herbst von uns bekommen hat. Wir erfahren, was noch da ist und was schon wieder fehlt und stellen in einer ausführlichen Diskussion eine "Wunschliste" zusammen. Gesamtkosten etwa 20.000,-DM.

Das Gespräch wird sehr oft unterbrochen durch das arbeitende Krankenhauspersonal. Wir interpretieren die zu beobachtende Hektik als ein positives Zeichen für die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses. Es hat sich vielleicht herumgesprochen, dass es hier Medikamente gibt.

Ein paar Daten: Das Krankenhaus hat 400 Betten und beschäftigt etwa 100 Ärzte. Dreißig davon arbeiten auf der Intensivstation, die über 18 Betten verfügt. Der Personalschlüssel ist also sehr gut. Weniger gut ist die Laborausstattung. Ein Blutanalysegerät, das Frau Thatcher dem Krankenhaus vor fünf Jahren geschenkt hat, kann dank unserer Chemikalien jetzt wieder arbeiten. Eine ausführliche Diskussion gab es um ein vorhandenes Osmometer, an dessen Unbrauchbarkeit wir zunächst zweifelten, bis der zuständige Labortechniker die Probleme erklärte: Das Gerät ist als erstes medizinisches Instrument in einer russischen Flugzeugfabrik gebaut worden. Auch als es noch funktionierte war es praktisch nutzlos. Zur Blutanalyse wurden 30 Milliliter Blut und fünf Stunden Zeit gebraucht. Zudem waren die Werte sehr ungenau. Eine Reparatur kommt also nicht in Frage. Wir wollen deshalb versuchen, ein gebrauchtes Osmometer zu bekommen. Kosten: Zwischen 5000,- und 10.000,-DM.
Wir bekommen im Krankenhaus Mittagessen, und es wird später, als Raffi und Armen miteinander abgesprochen haben. Jemand vom Krankenhaus bringt uns zur Deutschen Botschaft, wo Armen schon wartet, verständlicherweise etwas ungeduldig, denn der Erzbischof wartet schon auf uns.
Der Erzbischof von Eriwan, Herr Nersissian, hat schon die erste Delegation des Posaunenchores im September 1993 kennen gelernt. Er spricht sehr gut Deutsch, weil er eine Zeit lang eine armenische Gemeinde in Deutschland betreut hat. Eigentlich sollte man ihn mit "Eminenz"(oder armenisch "Garegin") ansprechen. Ich empfand das als sehr unpassend, weil die Atmosphäre bei unserem Gespräch sehr locker war. Der Bischof ist zur Zeit reichlich im Stress, weil er neben dem Erzbistum in Eriwan, zu dem zwei Millionen Einwohner, also der größte Teil Armeniens gehören, auch noch Aufgaben in Etschmiadsin hat. Er ist Stellvertreter des Katholikos, also des Oberhauptes der Armenischen Kirche, und dieser ist 86 Jahre alt und kann nicht mehr alle Aufgaben wahrnehmen.
Der Bischof erzählt von der Not, vor allem im letzten Winter. Viele Menschen suchen bei der Kirche Hilfe, und oft kann er einfach nichts tun. Die politische Lage sei durch die Not äußerst instabil, und die Kirche müsse deshalb zur Beruhigung der Menschen beitragen, damit sie nicht so leicht durch radikale Politiker aufgehetzt werden können. Es ist besorgniserregend, dass die jetzige Regierung weitere demokratische Wahlen einfach aussetzt, aus Angst, die Macht zu verlieren. Dass die Bevölkerung mit der Regierung sehr unzufrieden ist, haben wir mehrfach erfahren. Die 160 brandneuen Polizeiautos, die einem überall in der Stadt begegnen, tragen erheblich dazu bei. Beängstigend ist auch, dass die Geburtenrate in Armenien in den letzten Jahren auf ein Zehntel gesunken ist.
Die armenische Kirche versucht mit ihren relativ bescheidenen Mitteln, der Not zu begegnen.  In fünf Städten werden öffentliche Küchen betrieben, in denen insgesamt 1000 bedürftige Menschen versorgt werden. Waisen und Halbwaisen werden durch die armenische Kirche unterstützt. Das zuständige "Orphan Sponsorship Office" verwaltet eine Kartei mit 14.000 Kindern. Monatlich können zur Zeit etwa 1500 Kinder mit jeweils 10 Dollar unterstützt werden. Wir hatten schon vorher von diesem Hilfsfond gehört und zweitausend Dollar von unserem Spendenkonto mitgebracht. Der Direktor des Waisenkinderbüros, Herr Zulikian, kommt. Es wird ein Vorschlag ausgearbeitet, den wir sehr gut finden: Sechzehn Kinder sollen ein Jahr versorgt werden. Wir bekommen am Mittwoch  Namen, Adressen, Telefon und Bilder und sorgen dafür, soweit möglich, alle kennen zu lernen. Der Termin wird um vierzehn Uhr angesetzt.
Wir sprechen noch über andere Projekte. Der Bischof erzählt von der großen Hilfe durch das Deutsche Diakonische Werk, das vor allem Medikamente im Wert von mehreren Millionen Mark geliefert hat,
Ich erkundige mich nach einer Druckerei, für die vor einigen Jahren eine Schweizer Bibelgesellschaft eine Spendenaktion durchgeführt hat. Das Projekt ist leider gescheitert. 50.000 Bibeln in modernem Armenisch kann die Kirche dennoch bald drucken. Die Armenisch Orthodoxe Kirche will sich auf diese Weise auf das 1700-jährige Jubiläum im Jahre 2001 vorbereiten, das nicht nur ein Fest werden soll, sondern auch als missionarische Gelegenheit verstanden wird.
Es entsteht ein theologisches Gespräch. Ich versuche, in etwa den Bischof zu zitieren: "Man kann den Glauben, z.B. die Sakramente, nicht erklären. Wir stützen uns auf die Bibel, der Heilige Geist hilft uns dabei. Theologie hilft mir, meinen Glauben klar zu durchleuchten. Es kommt aber darauf an, den Glauben praktisch zu leben. Die armenische Kirche steht vor realen, praktischen Aufgaben."
Wir bekommen auch erklärt, was es mit der sogenannten monophysitischen Lehre der Armenisch Orthodoxen Kirche auf sich hat. Nämlich eigentlich nichts, was im Glaubensleben der Menschen Niederschlag findet. Es geht um die Frage, ob die göttliche und die menschliche Natur, die Jesus in der Bibel zugesprochen werden, einen Gegensatz oder eine Einheit bilden. Die Theologie der armenischen Kirche betont letzteres und wird deshalb monophysitisch genannt.
Da unsere Pläne, am Mittwoch nach Gumry zu fahren, nun endgültig gescheitert sind, bietet der Erzbischof an, im September zusammen mit Armen eine Fahrt dorthin zu organisieren. Er will selbst mitfahren.
Wir bekommen noch eine andere Einladung für Mittwoch: Anlässlich des internationalen Tages des Kindes findet in einem Jugendzentrum, das die armenische Kirche vom Staat übernommen hat, ein Tag der offenen Tür statt. Mehr dazu weiter unten.
Übrigens gibt es auch die Möglichkeit, eine Art Jugendaustausch mit der Armenischen Kirche zu organisieren. So haben zum Beispiel im letzten Sommer amerikanische und armenische junge Leute im Alter zwischen 16 und 25 Jahren gemeinsam Häuser für arme Familien errichtet. Für solche und ähnliche Projekte werden interessierte Jugendgruppen gesucht. (!)
Abends um sechs sind wir bei Professor Budagian. Er ist Geiger und Musiktheoretiker am Eriwaner Konservatorium.  Das Konservatorium hat einen Hilfsfond für bedürftige Familien gegründet. Wir hatten über die "Armenienhilfe Konstanz e. V." davon erfahren, und beschlossen, die Arbeit zu unterstützen.
Professor Budagian wirkt wie ein "typischer Professor": Klein, mit Glatze und viel zu großer Brille. Ein sehr höflicher und warmherziger Mann. Er begrüßt uns auf Deutsch. "Womit kann ich behilflich sein?" Günter erklärt unser Anliegen, dass wir sicher gehen wollen, mit unseren Spendengeldern die zu erreichen, die es am dringensten brauchen.
Herr Budagian listet die hilfsbedürftigen Bevölkerungsgruppen auf

 Professor Budargian verdient zwei Dollar im Monat. Er wird von seinem in Deutschland lebenden Sohn unterstützt. Wir bekommen erklärt, welche Gelder durch den Hilfsfond ans Konservatorium gehen: