Dienstag, 31.5.

Hütten und Hauser in Eriwan, nicht mehr in gutem Zustand Heute verwirklichen wir (endlich!) unseren Plan, hilfsbedürftige Familien zu besuchen. Die erste Familie besuchen wir vormittags zusammen mit Armens Mutter. Sie hat von einer Kollegin
die Adresse bekommen. Wir werden in einem relativ gut eingerichteten Wohnzimmer von der Großmutter empfangen, die hier zusammen mit einer Tochter und einer Enkeltochter wohnt. Zusätzlich eingezogen ist vor kurzem eine sechsköpfige verwandte Familie, die unsere Unterstützung bekommen soll. Der Vater ist seit einer Operation arbeitsunfähig. Er, seine Frau und die vier Kinder leben in einem Raum. Nach kurzer Zeit ist die Familie weitgehend versammelt. Günter erklärt: "Als ich ein Kind war, war in Deutschland gerade der zweite Weltkrieg zu Ende. Es herrschte eine große Not, und wir haben damals viel Hilfe bekommen, vor allem aus Amerika, und diese Hilfe wollen wir heute weiter geben, und wir bitten euch, sie als eine brüderliche Hilfe anzunehmen."

Die Familie bekommt 100 Dollar von uns, außerdem eine Salami, Schokolade für die Kinder und ein Neues Testament, das sehr gerne genommen wird. Wir versprechen, im Herbst wiederzukommen und die Familie weiter zu unterstützen. Der Familienvater ist sehr gerührt und bedankt sich sehr herzlich. Es entsteht eine ganz ungezwungene, fröhliche Stimmung. Es gibt Kaffee, man erzahlt uns noch Einzelheiten  über das Schicksal der Familie. In der Ecke steht ein Klavier, das ich natürlich ausprobieren muss. Ich spiele zwei, drei Choräle. Danach gibt es armenische Klaviermusik zum zuhören. Nach einer knappen Stunde verabschieden wir uns. Später haben wir erfahren, dass die Familie das Geld noch mit anderen geteilt hat.
Wir  fahren zum Hotel "Razdan", indem die deutsche Botschaft untergebracht ist. Der Botschafter Norbert Heinze hat uns zum Mittagessen eingeladen. Es gibt Brot und Salate, dazu türkische Cola, und Tann, eine Mischung aus saurer Milch und Mineralwasser, mit der ich mich überhaupt nicht anfreunden kann.
Das Gespräch dreht sich um die politische Situation. Herr Heinze befürchtet, dass die Armenier auf die nächste aserbaidschanische Offensive mit weiteren Gegenangriffen antworten könnten und dann eine strategisch wichtige Eisenbahnlinie unterbrechen würden. Dann stände Armenien endgültig als Aggressor da.
Aserbaidschan ist dem NATO-Kooperationsprogramm "Partnerschaft für den Frieden" beigetreten. Ich frage nach den Auswirkungen auf den Krieg und erfahre, dass Armenien diesem Programm wahrscheinlich ebenfalls beitreten wird.  Es geht um bestimmte Verhandlungsmechanismen, zu denen sich die Staaten verpflichten.
Herr Heinze berichtet von seinen Bemühungen um die Einrichtung einer Kinderleukämiestation in Eriwan. Das Land Hessen stellt 50.000,-DM zur Fortbildung armenischer Ärzte bereit. Eine Partnerklinik in Frankfurt konnte gewonnen werden. Wir beschließen, unsere Medikamenteneinkaufspreise zu vergleichen und bekommen noch die Wahlbriefe für die Europawahl mit, da die Post in Armenien kaum oder gar nicht arbeitet,  jedenfalls nicht zuverlässig.
Unten am Hotel stehen zwei der teuersten und neuesten Autos, die ich in Armenien gesehen habe. Eins gehört  der Unicef, das andere dem Hohen Flüchtlingskommissariat der Uno.
 
Besuch bei der zweiten Familie: Mutter, Großmutter und Tochter. Wir sprechen mit der Mutter, die seit einigen Monaten im Rollstuhl sitzt. Sie hatte mit 13 Jahren Kinderlähmung gehabt. Jetzt ist sie 49 Jahre, In einer Reha-Klinik, in der Spätfolgen der Krankheit behandelt werden sollten, wurde ein Nerv verletzt. Sie fängt an zu weinen, während sie erzählt. Im Winter hat sie Erfrierungen an den Füßen bekommen. Die Familie lebt von zwei Renten zu je 400 Dram. Früher haben sie Unterstützung von einer Familie aus Ostdeutschland bekommen. Der Kontakt ist jetzt abgebrochen. Günter erklärt wieder, ähnlich wie bei der ersten Familie, unser Vorhaben. Als wir eine Salami auspacken, sagt uns die Frau, dass sie seit einem Jahr keine Wurst mehr gegessen hat. Ich werde gebeten, in die Bibel eine Widmung hineinzuschreiben, ruhig auf deutsch. Die Tochter kocht Kaffee, wir machen ein Foto, und nach einer guten halben Stunde gehen wir wieder, aber nicht ohne zu versprechen, im September wieder zu kommen, Auch diese Familie hat erst einmal 100 Dollar bekommen.

Am späten Nachmittag sind wir mit Professor Budagian unterwegs. Wir besuchen fünf von ihm ausgewählte Familien. Es sind alles Kriegswitwen mit zwei bis fünf Kindern. Wahrscheinlich hat Herr Budagian diese Gruppe ausgewählt, weil sie ein hohes Ansehen genießen und den Neid der Nachbarn nicht zu  sehr fürchten müssen.
Unser Besuch mit sieben Personen war ja nicht immer ganz unauffällig. Herr Budagian scheint all die Familien gut zu kennen. Er hat überall sofort Kontakt zu den Kindern. Unsere Besuche laufen alle ähnlich ab wie die ersten beiden.
die Unterkunft einer armen Familie

Erwähnen möchte ich noch, dass zwei der drei Familien bei den Großeltern einziehen mussten, in einem Fall deshalb, weil die Wohnung abgebrannt war. Die Einrichtung ist manchmal sehr dürftig,  in einigen Fällen, wie auch bei der gelähmten Frau sind gute Möbel und schönes Porzellan da und erinnern an bessere Zeiten. Auffällig ist, dass alle viel Wert auf ordentliche Kleidung legen. Einige der Witwen tragen schwarz.
Ob wir denn einen neuen Zugang zum Glauben brauchen, fragt mich ein junger Mann, der unseren Besuch bei seinen Verwandten miterlebt. Hier und da ergibt sich ein kurzes Gespräch über Gottes Wort. Die Neuen Testamente werden überall dankbar angenommen, sogar von Professor Budagian, der sich sonst nichts schenken lässt, was er nicht weiter gibt.
 
Abends rechnen wir dann die Finanzen durch, Wir haben diesmal nicht das Geld in den Familien verteilt, sondern angekündigt, dass Professor Budagian monatlich Geld bringen wird, so wie mit ihm abgesprochen. Er bekommt zunächst 1000 Dollar von uns und schlägt vor, pro Kind pro Monat 15 Dollar auszuzahlen, zunächst für drei Monate. Es können also 22 Kinder unterstützt werden, neben den von uns besuchten Familien weitere sieben Kinder. Wir versprechen, das nötige Geld für die Fortsetzung der Aktion im Herbst mitzubringen. Auf unterschriebene Quittungen verzichten wir.

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1.  Hütten und Häuser in Erivan
2.  Unterkunft einer armen Familie