Es ist armenischer Nationalfeiertag, Davon bekommen wir allerdings wenig mit, außer, dass es abends extra lange Strom gibt. Zum Frühstück gibt es eine Art Kartoffelpfannekuchen, außerdem Brot, Wurst, Käse, Marmelade, sogar Butter, die in Armenien besonders knapp ist.Wir machen mit Armen, seiner Mutter und einigen Freunden einen Ausflug. Mit dabei sind unter anderem Vera, schätzungsweise 25 Jahre alt, Leiterin der Konsularabteilung der deutschen Botschaft, und Erika, ca. 50 Jahre, die mit der Gründung und dem Aufbau von Waldorfschulen in aller Welt zu tun hat. Wir fahren durch die Araratebene bis kurz vor die türkische Grenze, ca. 50 km, und besichtigen eine auf einem Hügel gelegene Kirche, die Gregorkirche. |
Unter der Kirche befindet sich eine Höhle, in der Gregor der Erleuchter, die wichtigste Figur der armenischen Kirchengeschichte, vor Gründung der Staatskirche 15 Jahre lang eingemauert gewesen sein soll. Auch diese Höhle haben wir besichtigt. Man steigt eine etwa 8 Meter lange Leiter in einen völlig unbeleuchteten Raum hinab. Von oben hat man einen hervorragenden Blick auf den Ararat, auf das ansteigende Gelände davor und auf die Befestigungsanlagen an der türkischen Grenze. Es ist fast wolkenlos und sehr heiß. Armen zeigt uns, an welcher Seite Noah den Berg verlassen haben soll. Danach ist die armenische Provinz Nachitschevan (= Wiederkommen) benannt. Nachitschevan gehört heute zu Aserbaidschan. Wir trinken eine lauwarme Cola, wie sie an mehreren kleinen Verkaufsständen angeboten wird, für einen Dollar.
Nicht weit von hier liegt auch die Stadt Ararat. Der "Verein armenischer Mediziner in Deutschland e.V." unterstützt das dortige Krankenhaus. Weil kein Benzingeld für den Krankenwagen da ist, wurde vor kurzem eine Pferdekutsche angeschafft.
Auf dem Rückweg besuchen wir in dem kleinen Ort Dimitrov
Christian Rex, Biobauer aus Salem am Bodensee, der sich vor drei
Jahren in Armenien niedergelassen hat. Die armenische
Landwirtschaft hat mit großen Problemen zu kämpfen, Nach dem
Zusammenbruch des Kommunismus wurde das Land in kleine Flächen
aufgeteilt, ein halber bis ein Hektar pro Familie. Deshalb muss
die Landwirtschaft sehr intensiv betrieben werden, und
entsprechend wird Chemie eingesetzt, außer bei Christian natürlich.
Neben der Umstellung von der Planwirtschaft auf die
Privatwirtschaft ist die Wasserknappheit ein weiteres
Problem der armenischen Landwirtschaft. Fast alles muss
bewässert werden, und dazu müssen auch unterirdische
Quellen angezapft werden. Der Wasserspiegel des Sevan-Sees,
des größten Hochgebirgssees der Welt, ist in den
letzten Jahren beträchtlich gesunken, weil zu viel
Wasser entnommen wurde. Angebaut wird in Armenien alles mögliche.
Der Schwerpunkt liegt auf Gemüse, das mehrmals im Jahr
geerntet werden kann. Es gibt auch viel Obst und Wein.
Wir bekommen frische Erdbeeren angeboten, und Maulbeeren,
grünlichweiße, himbeerähnliche Früchte, die man nur
sehr vorsichtig genießen sollte, vor allem nicht
zusammen mit Getränken, wie man mir geraten hat, als es
schon zu spät war. Am nächsten Tag hatte ich
starken Durchfall. Milch ist totale Mangelware in Armenien. Die meisten Landwirte halten eine Kuh für den Eigenbedarf, die staatlichen Milchwerke sitzen praktisch auf dem Trockenen. Ein Liter Milch kostet etwa einen Dollar. |
Am Abend sitzen Andreas und ich mit Raffi und seiner Familie
zusammen. Raffi erklärt einiges zur Wirtschaftlichen Situation:
Noch vor einigen Jahren waren Armenien und Georgien die reichsten
Republiken in der Sowjetunion. Die Löhne lagen bei umgerechnet
etwa 200 Dollar, und die Preise waren sehr niedrig, insbesondere
auch die Energie: Hundert Liter Benzin für einen Dollar. Raffi
erzählt, dass er damals nach Russland, Amerika und Japan gereist
ist. Seit dem Erdbeben, vor allem aber seit der
Wirtschaftsblockade durch die Türkei und Aserbaidschan, ging es
bergab. Die Löhne sind inzwischen so niedrig, dass man nicht
mehr davon leben kann. Die niedrigsten Löhne liegen bei etwa 200
Dram, das entspricht einem halben US-Dollar. Die armenische
Geldeinheit Dram ist im letzten Winter anstelle des alten
russischen Rubel eingeführt worden. Ein Arzt verdient in
Armenien 1000 Dram, Raffi als Chefarzt 2000 Dram. Der Präsident,
Levon ter Petrosjan verdient 4000 Dram, das sind 10 Dollar. Der
US-Dollar ist in Armenien zu einer zweiten Währung geworden. Es
kann jedoch überall getauscht werden. Der Kurs von 4000
Dram = 1 Dollar ist von der Regierung jetzt festgeschrieben
worden. Brot wird vom Staat subventioniert. Man bekommt es auf
Karten, 250 Gramm am Tag. Ein Brot kostet vier Dram.
Einige Preise:Eine Schachtel Streichhölzer |
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Anfang Mai wurden die Preise im öffentlichen
Nahverkehr auf das Achtfache erhöht, sind aber nach wie
vor relativ günstig: Ein Ticket für vier Dram. Viele
benutzen die völlig überfüllten Busse,
Oberleitungsbusse und Straßenbahnen aber ohne Fahrkarte.
Seit kurzem gibt es zusätzlich private Anbieter im
Nahverkehr, die aber sehr teuer sind. Im Winter war der
öffentliche Nahverkehr fast völlig zum Erliegen
gekommen. Die Mieten sind sehr billig, unter 10 Dram,
werden aber von den meisten nicht bezahlt. Ebenso die
Telefongebühren. |
Ausländer zahlen hohe Mieten: zum Beispiel Vera: 700 Dollar für
65 Quadratmeter.
Man muss sich fragen, wovon die Armenier leben, zumal die
Arbeitslosigkeit zwischen 60 und 80 Prozent schwankt und eine
Unterstützung nicht gezahlt wird. Es gibt zwei Wege, in Armenien
zurechtzukommen, Der erste ist der, dass viele Armenier Unterstützung
aus dem Ausland bekommen. Fast die Hälfte der etwa sechs
Millionen Armenier lebt nicht in Armenien. Viele unterstützen
Verwandte oder Freunde.
Die zweite Möglichkeit ist, Geschäfte zu machen, Raffi betreibt
nebenberuflich ein Lebensmittelgeschäft und verdient damit etwa
200 Dollar im Monat. (Damit klärte sich für uns eine wichtige
und auch etwas unangenehme Frage). Eine Minderheit, etwa
ein Prozent der Bevölkerung, betreibt erfolgreich Handel, und
einige werden damit reich. Es fällt auf, dass man in Eriwan mehr
neue Autos sieht als im letzten Herbst. Es existiert eine kleine
Gruppe von Neureichen, die von der Situation profitiert. Die
Masse der Bevölkerung lebt dagegen sehr arm, viele verkaufen Möbel,
Bücher und Porzellan. 95 Prozent der Bevölkerung sind nicht in
der Lage, sich neue Kleidung zu kaufen, schätzt Raffi.
Das einzig wesentliche, was Armenien zur Zeit exportiert, ist
Kognak. Importe kommen überwiegend aus dem Iran, wenn nicht per
Flugzeug. Über den Grenzfluss an der wenige Kilometer langen
Grenze zum Iran ist vor kurzem eine Brücke gebaut worden.
Während des ganzen Gesprächs läuft der Fernseher. Zuerst der
große, nachdem der Strom weg ist der kleine, per Autobatterie.
Kleine Fernsehgeräte sind in Armenien inzwischen genauso teuer
wie große.
1. die Gregorkirche
2. einfacher Marktstand in Erivan
3. überfüllte öffentliche Verkehrsmittel