Erlebnisse und Bekanntschaften in Armenien

Was sich in Armenien ändert

Mittlerweile hat sich aber auch in Jerewan einiges geändert. Nicht nur dass der Weg vom Flughafen in die Stadt von Reklametafeln gesäumt wird und der Autoverkehr erheblich zugenommen hat, sondern auch in „unserem“ Kinderkrankenhaus, welches sich von einer „Verwahranstalt“ zu einer Spezialklinik für verschiedenste Erkrankungen und Verletzungen von Kindern einschließlich Hirnoperationen gewandelt hat. Nachdem wir zwei Ärzten des Krankenhauses eine Fortbildung an der Universitätsklinik Münster ermöglichen konnten, wurde der Kinderchirurg Nikolai Dallakian Chefarzt des Krankenhauses, womit dieses einen starken Aufschwung erlebte. Bei den Besuchen in den folgenden Jahren wurden uns stolz kleine Patienten vorgestellt, die sich kompliziertesten Operationen hatten unterziehen müssen. der Operationssaal des Kindernotfallkrankenhauses

Die 1993 noch größtenteils leeren Betten waren mit Patienten gefüllt. Dennoch mangelt es nach wie vor an den nötigsten Dingen, z.B. Antibiotika oder Ersatzteilen und Reagenzien für Analysegeräte ( aus westlicher Produktion ) im Labor. Das medizinische Gerät aus sowjetischer Zeit und russischer Produktion ist komplett defekt und kaum noch reparabel. Wir wären gerne imstande gewesen, das Krankenhaus vollständig aus eigenen Mitteln zu unterstützen, doch das übersteigt einfach unsere Möglichkeiten. Zum Glück gibt es noch andere Spender, insbesondere in den USA. Alle zusammen haben bewirkt, dass die Klinik jetzt das Kindernotfallkrankenhaus von Jerewan und ganz Armenien ist. Mittlerweile ist dort auch eine pädiatrische Neurochirurgie etabliert.

 

Wie wir die Ärmsten der Armen unterstützen

Unser Ziel war, ist und wird auch in Zukunft sein, den Ärmsten der Armen zu helfen und dies sind vor allem die Waisen- und Halbwaisenkinder. So kam es, dass wir über den Erzbischof von Jerewan und jetzigen Katholikos, Seine Heiligkeit Karekin Nersissian von der größten Waisenkartei, in der über 10.000 Halbwaisen- und Waisen registriert sind, erfuhren. Spontan entschlossen wir uns, von den uns zur Verfügung stehenden Spendengeldern eine Anzahl dieser Kinder mit jeweils 10 US $ pro Monat zu unterstützen. Einige dieser Kinder durften wir selbst bei einer Audienz am Bischofssitz mit ihren Betreuern, d. h. Pflegeeltern, Tanten, Onkels oder Großeltern kennenlernen. Die armenische Kirche selbst kann jeweils nur etwa 2000 dieser Kinder zu gleicher Zeit unterstützen, dies erfolgt umschichtig in jährlichem Wechsel. Aus der Neuenhauser Bevölkerung wurde die Bitte an uns herangetragen, Patenschaften für einzelne dieser Kinder zu übernehmen, dies wollen wir dieses Jahr zusammen mit dem Verwalter dieser Kartei, Herrn Zulikian umsetzen. Bislang haben wir bereits jeweils 50 Waisen für jeweils 1 Jahr unterstützen können. Jedes Jahr hat uns Seine Heiligkeit übrigens selbst empfangen, was für uns immer eine hohe Ehre, aber auch ein interessanter Erfahrungsaustausch war, zumal er ausgezeichnet deutsch spricht und es daher keinerlei Verständigungsschwierigkeiten gibt.

 

Bekanntschaft mit Professor Budargian

Eine weitere beeindruckende Persönlichkeit ist Herr Prof. Budargian, Hochschullehrer am Jerewaner Musikkonservatorium, der sich in seiner Freizeit ebenfalls um Waisenkinder kümmert. Er besucht seine Schützlinge regelmäßig und immer zu Fuß, da er kein Auto besitzt, wir durften ihn jedes Mal zu einigen Familien begleiten. In besonderer Erinnerung geblieben ist uns eine junge herzkranke Mutter, die ihren Mann im Krieg um Berg-Karabach verloren hat und mit ihren 5 Kindern in einer düsteren, sehr ärmlichen Großstadtwohnung lebt. Hier haben wir die Gegensätze zwischen dem mittlerweile wieder recht regen Leben auf den Straßen Jerewans und der Not der Menschen in den Hochhausblöcken hautnah erfahren. Auch diese Familie werden wir im September wieder besuchen.

die Baracke einer Asylbewerberfamilie, die aus Deutschland ausgewiesen worden ist. Eine weitere Familie, die uns sehr ans Herz gewachsen ist, lebt außerhalb von Jerewan in einer Barackensiedlung ohne Wasseranschluss oder gar einem Badezimmer. Diese Familie hat für einige Zeit als Asylbewerber in Getelo, einer kleinen Gemeinde nahe Neuenhaus gewohnt und ist schließlich ausgewiesen worden. Die ehemaligen Klassenkameraden der Kinder dieser Familie geben uns jedes Jahr wieder Pakete für diese mit, die wir dann übergeben. Trotz der bitteren Armut werden wir immer zum Essen eingeladen und verbringen eine ganze Weile dort in dem einzigen Raum, in dem sich das ganze Leben abspielt. Die Familie hat sich draußen eine kleine Waschgelegenheit ( einfacher Wasserhahn mit kaltem Wasser ) mit einem für unsere Verhältnisse sperrmüllreifen Waschbecken gebaut.

Außerdem werden Tomaten und ähnliches angebaut, damit es etwas zu essen gibt. Eine besondere Delikatesse wird ab und zu als Fleischmahlzeit ein Kaninchenbraten sein, die ebenfalls draußen gezüchtet werden. Insgesamt ist man doch ziemlich auf sich alleine gestellt, da es keine Arbeitsstellen oder andere Zuwendungen gibt. Wenn dann der Winter kommt mit seinen eisigen Temperaturen von bis zu –20 Grad Celsius und man durch das große Loch in der Schlafzimmerwand nach draußen in die von Schnee und Kälte beherrschte Winterlandschaft sehen kann, durch das der scharfe Gebirgswind den Frost auch in die eigene Behausung pustet, kann man sich ein Bild von der bitteren Armut machen.

 

Stadt Gumry

Noch größere Not haben wir in Gumry, im Norden Armeniens erlebt, diese Stadt wurde bei dem schweren Erdbeben im Jahr 1988 zu einem großen Teil zerstört und bislang nur unvollständig wieder aufgebaut.Dort liegt die Wirtschaft komplett brach, die Menschen leben größtenteils immer noch in den damals errichteten Notunterkünften aus Holz oder Containern.Wir besuchten eine Familie, die in einem alten Eisenbahnwaggon lebt. Die Matratzen standen draußen zum Trocknen, im Inneren der Blechbehausung tropfte das Kondenswasser von den Wänden. Von den für unsere Verhältnisse kleineren Geldbeträgen, die wir dort bei den Familien hinterließen, wollten die Betroffenen z.B. erst einmal die Schulden beim Bäcker bezahlen, die sich für 1 Jahr Brotlieferung angesammelt hatten. Nach der zunächst erfolgten internationalen Hilfe scheint diese Region von der Welt völlig vergessen worden zu sein. Im Gegensatz zur Hauptstadt Jerewan fanden wir keinerlei Anzeichen für ausländische Investitionen, die armenische Regierung scheint ebenfalls außerstande zu sein, dort einen effektiven wirtschaftlichen Aufbau voranzutreiben. 

zurück

zurück zur ersten Seite

weiter

 

  1. der Operationssaal des Kindernotfallkrankenhauses

  2. die Baracke einer Asylbewerberfamilie, die aus Deutschland ausgewiesen worden ist.